Auf der Birnlückenhütte im Naturpark Rieserferner-Ahrn
frage ich den Hüttenwirt, ob ich mit Oscar in den Gastraum darf, denn mein Bedarf an Sonne ist gedeckt. Ausnahmsweise darf er mit hinein, weil wir die einzigen Gäste sind. Wider Erwarten ist der Schankraum winzig: Dicht gedrängt stehen eine kleine Theke, eine Eckbank mit Tisch und zwei weitere Tische mit Stühlen. Ich gehe davon aus, dass die Übernachtungsgäste im Freien essen, andernfalls wird es sehr eng.
Sagte der Patron nicht, wir seien die einzigen Gäste? Am Tisch sitzt jener Mann, der mit stoischer Ruhe an mir vorbeigezogen ist und bereits seinen ersten Kaffee geleert hat. Er zählt nicht als Gast, erfahre ich. Vielmehr hat sich über die Jahre eine Freundschaft zwischen ihm und dem Wirtspaar entwickelt. Er macht mehrmals im Jahr Urlaub im Ahrntal und besucht jedes Mal die Wirte auf der Birnlückenhütte. Und jedes Mal bringt er eine „Kleinigkeit“ mit. Und daraus resultiert, dass er den kompletten Aufstieg mittlerweile in unter 2 h schafft. Respekt!
Die Versorgung der Birnlückenhütte ist eine logistische Herausforderung,
wie ich im Laufe der Unterhaltung lerne. Der Wirt führt weiter aus, dass er und seine Ehefrau die Hütte seit 1975 betreiben. Natürlich nur in der warmen Jahreszeit von Mitte Juni bis Anfang Oktober. Im Winter haben sie Beschäftigung im Tal. Die notwendigen Waren werden alle drei Wochen per Helikopter geliefert. Bei 3,5 Monaten Betrieb müssten das 5 Flüge sein, rechne ich aus. Der Hubschrauber kostet 30 € je Minute plus An- und Abflug. Das summiert sich jedes Mal auf mehrere Hundert Euro Transportkosten, die sich die Wirtsleute mit einer benachbarten Hütte (ca. 1,5 h Gehweg) teilen.
Deshalb habe ich „Kleinigkeit“ bewusst in Anführungszeichen gesetzt, denn ein Laib frisches, handwerklich hergestelltes Brot mag für uns eine Kleinigkeit sein, aber auf der Schutzhütte ist es eine sehr gern gesehene Bereicherung.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf, schmeckt mir mein Cappuccino für 3,50 € und der hausgemachte Striezel für 5,50 € doppelt so gut. Im Ernst, die Preise sind absolut gerechtfertigt. Und sind wir mal ganz ehrlich: Das ist nicht so weit von dem entfernt, was in manch deutscher Großstadt auch schon verlangt wird – allerdings ohne die Schönheit des Naturparks Rieserferner-Ahrn.
Der Mann rät mir, bis zur Birnlücke zu wandern,
wenn ich schon hier oben bin. „Ja, aber das ist noch einmal eine Strecke von 40 Minuten“, erwidere ich. „Ach was“, höre ich, „20 Minuten, vielleicht“. Jahaha in seinem Tempo vielleicht. Wie ich von der Birnlücke wieder zurück nach Kasern komme, frage ich und spiele damit auf die alten Schmugglerpfade in und durch das Ahrntal an. Anerkennendes Kopfnicken der beiden Herren, ob meiner Frage. Es gibt tatsächlich eine alternative Wanderroute, die zum Teil über den Lausitzer Weg führt. Nur dauert diese Strecke doppelt so lange und läuft sich nicht so bequem. Dabei richten Sie ihre Blicke auf Oscar. Und angesichts der Tatsache, dass es bereits 15 Uhr durch ist, müssten wir ein gutes Stück im Dunkeln durch den Naturpark Rieserferner-Ahrn laufen. Natürlich hat der Betreiber auch gleich eine passende Horrorgeschichte parat, wie sich Wanderer nächtens verliefen und nur noch tot von der Bergwacht gerettet werden konnten. Ich hab‘ schon verstanden!
Ich beschließe, das letzte Stück bis zur Birnlücke in Angriff zu nehmen. Andernfalls würde ich mich nur ärgern, die Gelegenheit nicht genutzt zu haben.
Beim Verlassen der Birnlückenhütte scheitere ich an der Tür.
Als Stadtmensch erwarte ich, dass Fluchttüren nach außen öffnen. Nicht so in den Bergen, werde ich aufgeklärt. Eine nach außen öffnende Tür würde bei starkem Schneefall blockieren. Öffnet sie jedoch nach innen, kann man sich immer noch freischaufeln.
Draußen zeigt mir die Hüttenwirtin die Richtung zur Birnlücke. Sie hat sich in einen riesigen Schal gewickelt und sieht glücklich und zufrieden aus. So glücklich und zufrieden, wie man es wohl nur in den Bergen sein kann.
